Auszug aus dem Brief einer Freundin: „Bald ist unsere neue Wohnung fertig, die eigentlich dafür gedacht war, endlich eine Familie zu gründen. Doch so viele Pläne spuken in meinem Kopf herum. So viele Dinge gibt es, die ich noch erleben möchte. Mit dem Fahrrad nach Gibraltar zum Beispiel. Das durchzuführen, ist schon wegen unserem Hund richtig kompliziert. Wie soll das dann erst mit Kindern werden. Und ich möchte doch zwei, mindestens. Am besten drei. Bei dem Gedanken höre ich meine biologische Uhr richtig laut ticken. Aber mein Leben ist toll, so wie es ist. Und eigentlich fände ich es auch schön, so frei weiterzuleben. Ach, ich denke an dich. Wie geht es dir und deinen Kindern?“
Wir sind wohl die erste Generation, in der die Gründung einer Familie überhaupt zur Debatte steht. Nie zuvor hat man sich so viel Zeit gelassen, darüber nachzudenken. Was sicherlich auch damit zusammen hängt, dass unsere Welt offener ist, das Bildungsniveau höher, die Möglichkeiten mehr geworden sind. Früher gehörte es zum Lauf des Lebens, Kinder zu bekommen. Jetzt ist unsere Gesellschaft gespalten – in Eltern und Kinderlose.
„Meine liebe Freundin, ehrlich gesagt, es gibt Momente, in denen ich dich beneide, um deine Freiheit, deine Reisen, deine Abendgestaltung, deine Möglichkeiten. Manchmal würde ich auch gerne einfach so ein paar Tage dorthin, für einen Monat dahin, am Abend weggehen, ohne ab elf Uhr daran zu denken, dass ich nächsten Tag spätestens um sieben Uhr aufstehen muss. Ja, das wäre schon nicht übel. Einfach, bequem, spannend. Aber was würde mir alles fehlen… Auch wenn die Kinder meine persönliche Freiheit einschränken, ja, das tun sie definitiv, ist das Leben mit ihnen für mich so viel lebenswerter. Meine Kinder geben meinem Leben den Sinn, nach dem ich lange gesucht habe. Ich habe ihn im Job, im Reisen und Konsumieren gesucht, habe mir einen Hund zugelegt, um ein nachhaltig anhaltendes Gefühl von angekommen sein zu schaffen. Doch all das hat mir nicht geholfen, ich bin eine Suchende geblieben, bis ich schwanger war. Kinder zu haben bedeutet zwar, auf vieles verzichten zu müssen, aber es bedeutet auch, diese Dinge plötzlich gar nicht mehr unbedingt haben zu wollen. Es ist eine Entscheidung, die gegen das eigene Ego geht. In einer Gesellschaft, die so egozentriert ist wie unsere, ist es also kein Wunder, dass man lieber einmal mehr überlegt, diesen Schritt zu wagen. Aber, ja, was soll ich dir raten… trau dich, meine Liebe, wenn du bereit bist, sonst entgeht dir was!