Die Leseomas und Leseopas aus Aigen im Mühlkreis
„Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.“ Der berühmte britische Schriftsteller Aldous Huxley („Brave New World“) hat es auf den Punkt gebracht: Lesen ist nicht nur eine Kernkompetenz, die unabdingbar für eine aktive Teilnahme an der Gesellschaft ist, sie öffnet die Tore zu vielen ganz eigenen Welten. Kinder während des Lernprozesses des Lesens zu unterstützen, das haben sich die Leseomas und Leseopas aus Aigen im Mühlkreis zur Aufgabe gemacht.
Als im Jahr 2006 den österreichischen SchülerInnen durch die Pisa-Studie ein katastrophales Zeugnis ausgestellt wurde, waren die pensionierte Leiterin der Aigner Bibliothek Helene Föderl und ihr Mann Ludwig so schockiert, dass sie kurzerhand beschlossen, ihre allesamt lesebegeisterten Freunde zusammenzutrommeln um einen Masterplan zur Rettung der Lesefähigkeit Aigens Kinder zu entwickeln.
Bereits im darauffolgenden Herbst starteten die engagierten Freunde an der Volksschule Aigen Schlägl ihr Projekt. Zwei Mal die Woche, jeweils zwei Stunden besuchen die Leseomas und Leseopas seitdem die Kinder um während des Unterrichts einzeln und in den extra dafür eingerichteten Leseecken mit den Kindern das Lesen zu trainieren.
„Ich möchte den Kindern das Lesen schmackhaft machen, so wie es schon meine Oma bei mir getan hat“, schildert Helene Föderl mit leuchtenden Augen. Tatsächlich scheint der Funke überzuspringen. Für viele Kinder der Volksschule ist die Zeit mit den Lesegroßeltern zur wertvollsten im Schulalltag geworden. „Es kommt immer wieder vor, dass die Kinder von sich aus über die normalerweise herbeigesehnten Pausen weiterlesen wollen“, so Ludwig Föderl, der begehrte Leseopa. Er sitzt neben dem kleinen Daniel auf einem kleinen Sesselchen neben einem kleinen Tischchen und liest mit ihm eine Pippi Langstrumpf Geschichte. „Opa Föderl“ strahlt dabei soviel Geduld, Fürsorge, Anteilnahme und Ruhe aus, dass man verstehen kann, dass die LehrerInnen Listen führen müssen, damit die Zeit mit den Lesegroßeltern gerecht unter den Kindern aufgeteilt wird. Denn jeder will drankommen, am liebsten ganz oft, wie die Kinder betonen.
Doch es nicht nur das Lesen selbst, dass dabei im Vordergrund steht. Es ist vor allem auch diese besondere Art der Zuwendung, die die Kinder genießen und die im hektischen Alltag oft zu kurz kommt. Die Leseomas und Leseopas sind Vorbilder und Vertrauenspersonen zugleich, denen die Kinder schon auch mal ihre Sorgen mitteilen.
Dass diese acht Freunde einst gemeinsam die Schulbank drückten, kann man sich gut vorstellen, wenn sie schließlich nach getaner Arbeit mit einem Lächeln im Gesicht aus der Schule spazieren und es beschleicht einen das wunderbare Gefühl, dass es sie noch gibt, die Art von Menschen, die sich darüber bewusst ist, dass unsere Gemeinschaft nur dann in einem lebenswerten Ausmaß existieren kann, wenn wir zusammenarbeiten. Jeder für Jeden.
Mittlerweile hat sich dieses Projekt herumgesprochen und in einigen österreichischen Schulen wurde es in ähnlicher Form, stets ehrenamtlich, umgesetzt.
Erschienen im Oberösterreichischen Kulturbericht – Folge 4 – April 2011