Es ist der 21. November 2024, es stürmt und schneit, meinem Einjährigen bläst es beinahe die Kinderwagenüberdachung davon – wie ich vom Schreibtisch aus sehen kann. Er schläft gerade mitsamt Wärmeflasche in seinem Fließsack, ich sollte wohl bald auf Fell umsteigen, winter is coming. Hoffe ich zumindest. Ich mag ihn ja, den Winter. Und den Herbst auch. Wenn es so früh finster wird, finde ich viel mehr Ruhe in mir selbst. Da zieh ich mir und den Kindern gerne auch schon mal um 16.30 Uhr den Pyjama an. Und total gerne mag ich auch die Spaziergänge in der Kälte, von denen man mit roten Wangen und eingefrorenen Fingern und Zehen zurückkommt und sich dann voller Wohltat vor den Kamin setzt.
Das Sich-nicht-spüren führt zu Aggression und Unachtsamkeit
Damit das Leben gut ist, ist ein bisschen Rausgehen aus der Komfortzone nötig. Immer nur eingepackt in wohlig weiche Watte spürt man sich selbst ja sonst gar nicht. Der Kamin macht mir viel weniger Freude, wenn mir nicht vorher schon ein bisschen kalt gewesen ist. Aber da es in unserer Zeit so viele Verführungen gibt, mit denen wir uns in Watte packen können, haben viele von uns verlernt, sich selbst zu spüren. Und dieses Nichtspüren führt dann oftmals – bei Kindern wie auch bei Erwachsenen – zu Aggression und Unachtsamkeit.
Ja, die Zeiten sind härter geworden. Anders härter. Das soziale Miteinander ist schwieriger. Das spürt man auch in den Schulen und Kindergärten. So viele Kinder, die sich nicht mehr spüren und die als SchulkollegInnen dann richtig unangenehm werden können. Dabei wäre schon ein Fußweg vor Schulbeginn, ein ausgewogenes Frühstück und eine gesunde Jause ein Beitrag zu mehr Wohlbefinden – für alle. Eine Schulkolleginnen eines meiner Volksschulkinder hatte letztens 8! Knabanossis mit! Für sich alleine.
Wir sind verantwortlich!
Die Verantwortung von uns Eltern unseren Kindern gegenüber ist heute wohl so groß wie nie. Wir müssen sie vor all den Verführungen des Lebens warnen, ihnen vorleben und zeigen, wie gutes Leben geht. Was Genuss ist und was Sucht. Was genug und was zu viel. Teenies mit Bildschirmzeiten von über 10 Stunden pro Tag! Erstklässler mit mehr als 50 Kilo Körpergewicht! Kiffende 16-Jährige. Internetsüchtige Volksschüler. Und dazu der ganze Bewegungsmangel.
Dabei gibt es viele Studien, die belegen, dass Bewegung und Intelligenz zusammenhängen. Lernen und Sport. Erfülltes Leben und Mäßigung. Und dabei spreche ich weder von zuckerfreier Ernährung noch von Fleischverzicht. Ich spreche einfach nur von einer normalen Lebensführung. Aber was heute normal ist, ist eben nicht mehr das, was gut tut.
Genau das sage ich mittlerweile auch meinen Kindern ganz direkt. Denn oft argumentieren sie damit, dass ja alle das so machen. Alle sehen täglich fern, alle verbringen ihre Wochenenden in der Shopping City, alle werden mit dem Auto ins Turntraining gebracht, alle haben Süßes mit zur Jause.
Bitte, nicht eines davon ist für sich genommen gleich schlecht. Die Summe macht es aus. Das andauernde falsche Verhalten. Wenn ich jeden Tag Alkohol trinke, schade ich mir. Wenn ich ein, zwei Mal pro Woche ein Glas Wein trinke, dann nicht. Und so ist das ja auch bei den Kindern. Und so sollte man ihnen das auch lernen. Genuss ja, aber nicht dauernd. Sonst muss es irgendwann immer mehr sein. Sonst wird aus Genuss die Sucht. Ich schränke sogar das Hören von Hörspielen ein. Denn auch davon kann man zu viel haben. Stille und Ruhe sind wichtig. Und das Bedürfnis nach Geschichten kann auch durch Lesen gedeckt werden. Sogar eigentlich noch viel besser.
Ich selbst höre grad jeden Tag einen Podcast beim Spazierengehen, wenn das Baby schläft, und manchmal stöpsle ich mir auch beim Kochen die Nachrichten ins Ohr. Darf eh alles sein. Bewusst aber!
Das alles klingt jetzt vielleicht total nach Belehrung. Dabei will mich eigentlich nur austauschen. Nur mitteilen. Weil ich das alles so schlimm finde – vor allem für unsere Kinder. Denn sie sind es, die ich davor bewahren will, in Verhaltensmuster zu rutschen, aus denen sie nicht mehr rauskommen.
Wie gerne würde ich die vielen Menschen da draußen wachrütteln, ihnen sagen, dass sie einschreiten müssen, wenn ihr Kinder mehr als acht Stunden pro Tag am Handy sind. Dass sie SOFORT handeln müssen. Dass sie ihren Kindern doch nicht acht Kabanossis mitgeben dürfen als Jause. Weil sie ihr Kind kaputt machen damit.
Aber wie?! Wie soll man das sagen? Und wer sollte das den Menschen sagen? Der Staat? Schnell ist dabei die Grenze des Sagbaren erreicht, schnell die Freiheit des Einzelnen verletzt. Das sind die großen Herausforderungen unserer Zeit. Das denke ich.
So, jetzt geh ich eine Runde. Weil unser Jüngster am liebsten geschoben wird beim Schlafen. Untertags. Und Abends – da findet er es am besten, wenn ich zwischen 19 und 21.30 Uhr alle 30 Minuten mal vorbeischaue und ihn stille… erst dann kann er zur Ruhe kommen. So weit, so anstrengend. Das war bei allen meinen Kindern so. Und heute schlafen sie super. Aber das ist ein anderes Thema.
So weit, so unlustig, dieser Text. Sorry. Musste mal wieder sein.
Hallo Frau Ogris,
Ich lese mit Begeisterung und großer Bewunderung ihre Beiträge. Ich kenne sie vom Sehen – wohne nur ca 300 m Luftlinie von ihnen entfernt. Ich bin 71 Jahre alt, habe 2 Söhne mit 51 und 47 Jahren. Beide Kinder haben ihren Lebensmittelpunkt berufs- und familiär bedingt weitab vom Elternhaus gefunden. Ein Sohn lebt in Brasilia ( Schwiegertochter Brasilianerin – ein Herzensmensch), ein Sohn in der Grenzregion Frankreich/Schweiz ( Schwiegertochter Französin). Vom jüngeren Sohn haben wir einen 3jährigen Enkel, der das Glück hat 2sprachig aufzuwachsen, und noch ein Baby erwarten wir im April. Gerade heute habe ich ihm ihren Link mit dem letzten Beitrag geschickt. Ich helfe wo ich nur kann – auch über 1000km hinweg – und diesen Beitrag finde ich ausgezeichnet. Ich freue mich schon auf den nächsten……..
Erika Theis vom Amselweg